Goldschätzchen, stell Dir doch einmal vor, der Krieg sei aus
Eine kurze Liebe in Briefen

Vorwort

Lothar Gruber wird mit dem Eisernen Kreuz 2.Klasse ausgezeichnet.
"Unbeschriftetes Foto"
Lothar Gruber, (Dritter in der ersten Reihe) bei der Verleihung des EK II.

Der Autor der vorliegenden beiden Tagebücher und der Feldpostbriefe diente ab 9. September 1941 als Soldat beim Stab, vermutlich des 1.Bataillons (Btl.) des 272.Re­giments (Rgt.), der 93. Infanterie-Division des 38. Armee Korps (A.K.) der Heeres­gruppe Nord, die im Baltikum und den angrenzenden Gebieten im Einsatz war. Zuvor war er als Besatzungssoldat in Frankreich eingesetzt.

Lothar Gruber wurde am 29.4.1922 in Stuttgart-Zuffenhausen geboren. Aus seinem Leben ist nicht viel mehr über das hinaus bekannt, was in den Briefen und Tagebü­chern vermerkt ist. Im Zivilberuf war er Maschinenschlosser und es gibt einige Bil­der die ihn in der Uniform der Hitlerjugend zeigen. Ob er in der NSDAP war, ist nicht bekannt. Rassenideologische Anspielungen sind jedoch bis auf den Brief vom 6.2.1943 (Nr. 24) nicht zu finden. Dieser Brief ist der einzige in dem das Wort "Juden" vorkommt. Daraus kann man schließen, daß Lothar Gruber, auch als noch alles nach einem deutschen Sieg aussah, falls überhaupt, zumindest kein fanatischer Nationalsozialist war. Im September 1942 wurde er in Chablino (Szablino?) mit dem "Eisernen Kreuz" ausgezeichnet. Am 18. März 1943 wurde er zum Unteroffizier befördert.

Die Briefe richten sich an seine große Liebe H.G. Beide lernten sich das erste Mal während seines ersten Fronturlaubs im Jahr 1942 näher kennen und verliebten sich. Es folgte ein ununterbrochener Briefwechsel. Während des nächsten Frontur­laubs 1943 kam es Verlobung und im Jahr 1944 heirateten sie. Das Paar hatte also lediglich dreimal für wenige Wochen Zeit für ihre Liebe, in der ganzen anderen Zeit wurde die Beziehung aus der Ferne über Briefe aufrechterhal­ten. Das erklärt weshalb die Briefe vor kosenden Worten förmlich triefen und nur ein kleiner Teil dieser Liebesschwüre wurden in dieser Sammlung wiedergegeben. Als positives Resultat der Trennung sind uns eine Vielzahl von Liebesbriefen ge­blieben, von denen viele etwas dazu beitragen, ein Gesamtbild jener Zeit zu zeich­nen. Die verloren geglaubten Briefe wurden Ende Mai 2006 in einer Schachtel auf dem Dachboden gefunden. Die Lektüre dieser Briefe warfen alle meine bisherigen An­sichten und Kenntnisse über Lothar Gruber über den Haufen, bis hin zu Todesjahr und Todesursache.

Die Auswahl der Briefe und Briefauszüge ist so getroffen worden, daß sie nicht nur militärische Ereignisse umfasst, sondern möglichst alles das dazu beiträgt ein Bild des Dritten Reiches zu dieser Zeit aus der Sicht eines einfachen Soldaten zu zeich­nen. Geschichte von unten, sozusagen. So Erwähnungen von Radiosendungen mit Musiktiteln, Filmen, Radio-Ansprachen der Nazi-Führung, Speisen, Moralvorstel­lungen , Feldpost-Zustellungen und natürlich vor allem Aussagen zur politischen, gesellschaftlichen und militärischen Situation.

Insgesamt zeichnen die Briefe ein viel lebendigeres Bild als die dürren Einträge der Kriegstagebücher. Leider gibt es aber bis auf wenige Ausnahmen keine Ortsanga­ben in den Briefen, es war vermutlich verboten, solche zu machen. Doch geben die Ortsangaben auf den Photographien und in den Tagebüchern ein insgesamt beina­he vollständiges Bild der letzten Monate des Jahres 1942 und des Jahres 1943.

Etliche Briefe sind nicht zitiert, weil sie keine allgemeinen Informationen enthal­ten, doch fehlen auch manche Briefe. Die Nummerierung der Briefe beginnt ab 1. Januar 1943. Die Feldpost scheint normalerweise nicht kontrolliert worden zu sein und der Schreiber ging offenbar bis Anfangs 1943 von einer solchen Kontrolle auch nicht aus. Dies kann man jedenfalls annehmen, da er seine Sehnsucht nach dem Ende des Krieges schon 1942 deutlich zum Ausdruck bringt, ja sogar teilweise die hypotheti­sche Möglichkeit einer Fahnenflucht zurück in die Heimat erwähnt. Zwar fragt er in dem Brief Nr. 21 vom 3. Februar 1943 ausdrücklich ob seine Briefe schon einmal kontrolliert wurden, doch scheint dies eher mit der im Tagebuch vom 24. Januar 1943 erwähnten verschwundenen Brieftasche zusammen zu hängen. Jedoch nutzt er auch klug die Kontrolle der Briefe zu seiner Verteidigung, als er im Gefängnis sitzt (den Brief aus Deba vom 11.8.43 der ohne Nummer ist, sowie die folgenden Briefe), als er von einer Kontrolle ausgehen konnte.

Je schlechter die militärische Lage sich für die Deutschen darstellte, um so öfter wurden anscheinend Stichproben genommen und Briefe geöffnet. „Defätismus“ wurde brutal verfolgt. Niemals darf heutzutage vergessen werden , daß im letzten Weltkrieg mehr als 30 000 deutsche Soldaten (die Zahlen gehen bis 50 000!) wegen irgendwelcher Vergehen hingerichtet wurden, im 1. Weltkrieg waren es 48! Vor allem in den letzten Kriegsmonaten erreichten durch Stand­gerichte die Hinrichtungszahlen absurde Höhen.

Gruber´s in seltsamen Widerspruch zu seiner Kriegsmüdigkeit stehenden Kom­mentare zur Kriegslage dürften zum Teil mit diesen Kontrollen in Zusammenhang stehen. Der Soldat Gruber glaubte aber auch mit Sicherheit, wie damals nicht nur fast alle Deutschen, 1941 und auch noch 1942 an den Sieg der deutschen Waffen und erst die Niederlagen an der Ostfront dürften ihm im Jahr 1943 die Unausweichlichkeit der Niederlage klargemacht haben.

Trotzdem betrachtete auch er "den Russen" als einen Feind vor dem die Heimat unter allen Umständen zu schützen war. Allgemein dachten wohl nicht nur über­zeugte Nationalsozialisten so. Auch deshalb kam es an der Ostfront selbst in aus­weglosen Situationen nur selten zu Desertationen. Der NS-Führung war es offensichtlich gelungen, den Angriffskrieg in einen präven­tiven Verteidigungskrieg umzudeuten und der Terror des bolschewistischen Stalin-Regimes wurde als abschreckendes Beispiel genutzt das auch jene beeinflusste, die sich weniger aus der Nazi-Ideologie machten. Der Terror des eigenen Regimes wurde, wie nicht nur in totalitären Systemen üb­lich, so weit als möglich totgeschwiegen. Natürlich haben in dieser Beziehung tota­litäre Regimes etwas mehr Möglichkeiten zur Manipulation, deshalb auch die Le­gende von der „Schwäche der Demokratien“.

Der Beweis der prinzipiellen machtpolitischen Über- oder Unterlegenheit einer solchen blieb allerdings aus, da in diesem größten und brutalsten Krieg der Menschheit ein totalitäres Regime das andere besiegte. Zyniker könnten sagen: Unentschieden!

Die Tagebücher sind vollständig wiedergegeben. Nur zwei von mindestens drei Ta­gebüchern (1941, 1943, 1944) sind erhalten geblieben, wobei das Zweite (von 1943), vermutlich von Kinderhand, beschädigt wurde und mehrere Seiten fehlen. Sehr wahrscheinlich existierte auch für das Jahr 1942 ein Tagebuch. Das Buch von 1944 dürfte Gruber bei sich getragen haben, als er getötet wurde. (Siehe Brief 298) Stichwortartig wird der jeweilige Tagesablauf beschrieben und oftmals bestehen die Einträge aus nicht viel mehr als: "Auch heute alles ruhig". Trotzdem ergibt sich insgesamt ein guter Eindruck vom Leben an der Front. Beschreibungen von Kampfhandlungen im Stiele eines Kriegsromans oder fesseln­de Berichte darf man in den Tagebüchern freilich nicht erwarten, das Geschriebe­ne wirkt eher banal und war natürlich niemals zur Veröffentlichung bestimmt. Es war eher eine Gedächtnisstütze zur Erinnerung an ein großes "Abenteuer", vor al­lem trifft das auf das Heftchen aus dem Jahr 1941 zu, als noch jedermann an den Sieg glaubte. Überhaupt scheint der Autor am Anfang des Krieges gerne Soldat und als solcher ehrgeizig gewesen zu sein. Kein Wunder, hatte er sich doch Anfang 1941, im Alter von 18 Jahren, für 12 Jahre beim Militär verpflichtet, wie aus den Aufzeichnungen hervorgeht.

Nach einiger Überlegung habe ich mich angesichts der verstrichenen Zeit ent­schlossen, alle Namen von Personen in den Tagebüchern anzugeben. Die Rechtschreibung wurde 1:1 von den Originalen übernommen, mit der Ein­schränkung, daß der Autor die Gewohnheit hatte, vor fast jedem "und" ein Komma zu setzen. Dieses wurde nicht gesetzt. Hinzu kommen natürlich meine Fehler beim Abtippen der Briefe und Tagebücher.

Ochsenhausen, im Juni des Jahres 2006 Peter Engelhardt